Heute haben wir uns hauptsächlich mit unseren Workshops beschäftigt. Dazu zuerst ein kleiner Bericht von Nick Waldstädt.
Der aus neun Teilnehmenden bestehende Workshop „Histro-Bistro“, welcher innerhalb des Workcamps angeboten wird, hat sich zur Aufgabe gestellt, weitere Zeitzeugenberichte, sowie Berichte Überlebender der zweiten und dritten Generation aufzunehmen, zu übersetzen und zu archivieren. Dies ist von besonderer Bedeutung, da wir einer der letzten Generationen angehören, welche die Möglichkeit hat, persönlich mit Zeitzeugen in Kontakt treten zu dürfen. Der Workshop „Histro-Bistro“ leistet somit einen großen Beitrag, um die nachfolgenden Generationen über die Erinnerungen der Hinterbliebenen zu informieren. Mit den Interviews der Nachkommen der zweiten und dritten Generation können wir aus einem weiteren sehr emotionalen und spannenden Blickwinkel die Erinnerungen und Gedanken der Überlebenden besser verstehen.
In Vorbereitung auf die Interviews haben sich die Teilnehmenden intensiv anhand von Literatur und Videoausschnitten mit den Geschehnissen in Sant`Anna auseinandergesetzt. Auf Grundlage des bereits bestehenden, sowie neu erworbenen Wissens, wurden drei Fragenkataloge erstellt. Der erste bezieht sich vor allem auf ältere Bürger, die gebürtig aus Pietrasanta und naher Umgebung stammen. Pietrasanta ist die nächstgrößere Stadt nahe Sant`Anna di Stazzema. Die Fragen beziehen sich, neben Informationen zum Leben an der Versilia unter deutscher Besetzung während des Sommers 1944, auch auf die Verbindungen der Bürger Pietrasantas zu Sant`Anna – damals und heute.
Der zweite Fragenkatalog ist an Überlebende des Massakers in Sant`Anna gerichtet. Er soll neben Erinnerungen, sowie den Gefühlen und Emotionen der Hinterbliebenen, während der Ereignisse am Morgen des 12. Augusts, auch deren Leben nach dem Massaker und die heutige Auseinandersetzung mit den Geschehnissen erfassen. Weiterhin haben wir einen Fragenkatalog an Nachkommen der zweiten und dritten Generation erstellt, der darauf abzielt zu erfahren, wie die Überlebenden mit ihren Kindern über die Ereignisse am 12. August 1944 gesprochen haben. Dazu enthält er Fragen, wie sie ihre Vorfahren und deren Erinnerungen wahrgenommen haben, sowie zum Leben als ein Nachfahre eines Überlebenden.
Infolge des Workshops sind wir in Kleingruppen in Pietrasanta unterwegs gewesen, um mit Zeitzeugen zu sprechen. Die Teilhabe war sehr positiv und es konnten gute Ergebnisse erzielt werden. Insgesamt wurden etwa sechs Personen befragt, darunter auch ein Sohn von einem damals in den Bergen kämpfenden Partisanen. Durch die Interviewfragen wurde ein Konflikt zwischen zwei rüstigen Frauen angestoßen, welcher sehr gut wiederspiegelte, das siebzig Jahre nach den Geschehnissen von Sant`Anna noch immer in Diskussion steht, ob die Partisanen eine Ursache der Massaker waren.
Zudem hatten wir die Möglichkeit mit zwei Nachfahren der zweiten Generation zu sprechen. Eine davon war Marisa, welche die Tochter zweier Überlebender von Sant`Anna ist und auch dort aufwuchs.
In Planung stehen weitere Gespräche mit Überlebenden der zweiten Generation, aber auch ein Interview mit einer Überlebenden von Sant`Anna.
Tobias Rieger berichtet über den Kunstworkshop:
Irene Lupi und Giulia Muto leiteten den Kunstworkshop, welcher sich aus zwei Italienerinnen und zwei Deutschen zusammensetzte. Irene motivierte die Teilnehmenden, sich kreativ völlig frei zu fühlen und regte an, sich unterschiedlichster Genres, Materialien und Ideen zu bedienen. Irene legte Wert darauf, dass in erster Linie ein innerlicher Entwicklungsprozess einsetzen sollte, sich mit der Thematik auseinanderzusetzen. Ein abgeschlossenes Projekt müsse nicht zwangsweise am Ende des Workshops vorgezeigt werden.
Schlussendlich fokussierte sich die Gruppe auf vier verschiedene Projekte. Zum einen wurde mit einem zeitgenössischen Plakat, welches den faschistischen Körperkult durch unterschiedliche Gymnastikübungen verdeutlicht, gearbeitet. Die Körperübungen wurden nachgestellt und ein dem Original nachempfundenes Plakat entworfen, welches die indoktrinären Vorstellungen des nationalen Leistungskults umdreht und durch eine Botschaft des Friedens und internationalen Miteinanders ersetzt.
Das zweite Projekt versuchte die Mutterlosigkeit der beiden Überlebenden des Massakers, Siria und Adele, allegorisch auf Papier einzufangen. Im dritten Projekt entstanden mit Ton und Gips Friedenssymbole. Ein viertes Projekt versuchte für die Filmmitschnitte der Zeitzeugeninterviews und Impressionen von Sant‘Anna ein musikalisches Thema am Klavier einzufangen.
Auch im Workshop Dokumentation wurde kräftig weitergearbeitet. Das Radioprojekt wird in einem Erfurter Radio ausgestrahlt werden, Radio F.R.E.I. Dafür wurden heute verschieden Teilnehmer über das Projekt interviewt. Auch der italienische und der englische Blog machen große Fortschritte und werden in den nächsten Tagen hochgeladen. Um alle unsere Projekte, Bilder und Videos zu sammeln haben wir eine eigene Seite für Sant’Anna erstellt. Eine alternative Seite mit Bildern findet ihr unter: https://naturfreunde-giengen.de/?page_id=440
Am Nachmittag machten wir einen Ausflug ins Marmormuseum. Dort konnten wir beobachten, wie die Gipsvorlagen abgemessen und Punkt für Punkt auf den Marmor übertragen werden. Dort steht auch eine riesige Nachbildung Michelangelo’s David. Wir konnte sowohl den Künstlern bei der Arbeit zuschauen, als auch tausende von Mamorfiguren bei einer kleinen Führung besichtigen. Danach hielten wir noch eine Einführung in die Entstehungsgeschichte des weißen Marmors, der typisch für diese Region ist und nirgends sonst auf der Welt vorhanden ist. Er zeigte uns auch Steinschichten, in die Fossilien eingeschlossen waren. Zum Abschluss durften wir uns an den übrig gebliebenen Steinbrocken bedienen und etwas weißen, grauen oder rosa Marmor mit nach Hause nehmen.
(Bild von Arbina Dika)
Über das Nachtleben in Pietrasanta:
Nach so vielen Tagen in Pietrasanta muss ich noch ein paar Worte über die abendliche Stadt sagen. Die Geschäfte schließen natürlich oft nachmittags, dafür sind sie aber abends bis um 24 Uhr geöffnet. Man stelle sich eine malerische Altstadt vor, 10 Uhr abends, alles hell erleuchtet und die Straßen voller Menschen, die ein Schwätzchen halten, noch ein wenig einkaufen gehen, ein Eis essen – einfach leben.
Eine lebendige Innenstadt am Abend kann man sich dagegen in Deutschland nur schwer vorstellen. Je nach Größe der Stadt ist sie entweder wie leergefegt oder von betrunkenen Studenten oder anderen Feiernden bevölkert. Natürlich ist es hier im August auch noch um Mitternacht angenehm warm, doch es ist nicht nur das. In jeder Ecke lassen sich Kunst und Skulpturen finden, Galerien sind geöffnet, Kleidergeschäft haben ihre Waren ausgestellt. Insgesamt ist die Atmosphäre einfach eine andere. (Lebens-)Kunst wird in dieser Stadt großgeschrieben. Ob es an der italienischen Lebensphilosophie, „la dolce vita“, oder an der liebevollen Gestaltung der Innenstadt, liegt – Deutschland könnte sich auf jeden Fall eine Scheibe davon abschneiden.